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Erschienen in: esotera 8/2001
(Seite 16-19) |
Wird die Naturmedizin ausgegrenzt?
Unzählige Naturheilmittel sollen verboten werden,
Kassen verweigern immer häufiger Zuschüsse für Alternativtherapien.
Und das, obwohl über 90 Prozent der Bevölkerung die sanfte
Medizin befürwortet. Die Erfahrungsheilkunde - so scheint's
- soll in Deutschland systematisch ins Abseits gedrängt werden
Von Ulrich Arndt
Für
viele Patienten, Ärzte und Behandler verschiedenster Therapierichtungen
ist das Maß voll. Was hier vom Gesetzgeber geplant wurde,
ist schlichtweg unannehmbar. Kurz entschlossen gründeten
sie die Initiative „Netzwerk Naturheilkunde", um nach
der Maxime „gemeinsam sind wir stark" die gravierenden
Einschnitte bei der Alternativmedizin noch zu verhindern. Denn:
Durch die Anpassung an EG-Gesetze verschwinden tausende bewährte
Naturheilmittel, die Kassen reduzieren die Kostenerstattungen
für Alternatives erheblich.
Und mit Budgetgrenzen sowie der geplanten Positiv-Liste für Medikamente
werden die für Ärzte möglichen Therapieformen weitgehend
auf Schulmedizinisches beschränkt. Wenn das nicht am Willen der
Bürger vorbeigedacht ist! Die sind nach einer Studie des Allensbach-Instituts
Ende vergangenen Jahres nämlich zu über 90 Prozent von der
Wirksamkeit alternativer Medizin und naturheilkundlicher Präparate überzeugt
(die neue esotera berichtete darüber).
Als Auftakt ihrer Aktionen hat die Organisation mit einer Großdemonstration
am 21. Juli auf dem Münchner Marienplatz versucht, die Menschen
wachzurütteln: „Nur wenn sich jetzt Patienten und Therapeuten
gemeinsam wehren, kann die bisher in Deutschland praktizierte Naturheilkunde
und Therapiefreiheit noch gerettet werden", mahnt Dr. Hans-Christoph
Scheiner, Organisator des Netzwerkes und Vorsitzender des „Aufbruchs
für Bürgerrechte, Freiheit und Gesundheit". Eine E-Mail-Aktion
an Politiker soll folgen.
Keine Zuschüsse von
den Kassen
Auch immer mehr Patienten wehren sich gegen die
politischen Entscheidungen und ziehen vor den Kadi. Die gesetzlichen
Krankenkassen (in ihnen sind 95 Prozent der Bevölkerung versichert)
weigern sich nämlich, selbst bisher übernommene Kosten
zu erstatten. Erst Anfang des Jahres wurden die Zuschüsse
für Akupunktur-Behandlungen - sie sind die bekannteste und
beliebteste Form der Alternativtherapien überhaupt - durch
den deutschen „Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen" verboten.
Einzige Ausnahmen: chronische Kopfschmerzen, chronische Schmerzen
der Lendenwirbelsäule und schmerzhafte Gelenkarthrose.
„Die aktuelle Gesundheitspolitik ist bestrebt, die Anwendung von alternativen
Heilweisen einzuengen und so deutlich zu erschweren", kritisiert Gabriel
Stux, Vorsitzender der „Deutschen Akupunktur Gesellschaft Düsseldorf".
Die
Vielfalt der Kräutermedizin ist bedroht
So wird beispielsweise die Techniker-Krankenkasse jetzt vom Bundesversicherungsamt
(BVA) gezwungen, statt wie bisher bei sieben verschiedenen allgemeinen
Erkrankungen nur die Kosten bei den drei oben genannten Schmerzbehandlungen
zu übernehmen, so Stux. „Und das, obwohl die Kassen für
diese am häufigsten verordnete Alternativtherapie mit jährlich
zwischen 300 bis 600 Millionen Mark nur etwa 1-1,5 Promille (ein Tausendstel)
ihres Etats ausgegeben haben." Weiter beklagt er: „Die Begrenzung
auf Schmerzbehandlungen ist zudem wissenschaftlich nicht begründet
und widerspricht der Bewertung der 'National Institutes of Health', des
Bundes-Gesundheitsinstituts der USA."
Patienten ohne Mitbestimmung
Auch andere bewährte und häufig angewandte
Therapien wie Homöopathie, Kneipp- und Hydro-Behandlungen,
bestimmte Phytotherapien, Ernährungsmedizin und Autogenes
Training werden nur noch in Ausnahmefällen bezuschusst. Vorausgesetzt,
alle Möglichkeiten der Schulmedizin wurden zuvor ausgeschöpft.
Und an eine Erstattung anderer Methoden wie Eigenbluttherapie,
Anthroposophische Medizin, Craniosakral-Therapie und vieles mehr
ist überhaupt nicht mehr zu denken - auch dann nicht, wenn
sich im Nachhinein herausstellt, dass die Behandlungen zur Heilung
geführt haben. Das haben die Bundesgremien beschlossen.
Geändert ist seit 1. Juli auch der „Heilmittelkatalog".
In ihm wird dem Arzt jetzt genauestens vorgeschrieben, welche Art
von Physiotherapie (Massagen, Krankengymnastik) er bei welcher
Erkrankung verordnen und ob diese mit oder ohne Fango, Wärmestrahlung
oder Reizstrom kombiniert werden darf.
In den letzten Jahren wurden die Erstattungen von einigen Kassen lockerer
gehandhabt, um sich gegenüber den Konkurrenten zu profilieren. So
zog beispielsweise die Securvita mehrfach vor Gericht, um eine umfangreichere
Erstattung von Alternativ-Therapien zu erstreiten. Dennoch sind 95 Prozent
der Leistungen gesetzlich festgeschrieben und nur bei den restlichen
5 Prozent hatten die Krankenkasse seit je her einen Entscheidungsspielraum.
Um diesen kleinen Rest aber wird vehement gerungen. Welche Leistungen
in den Katalog der gesetzlichen Kassen aufgenommen werden, bestimmt der „Bundesausschuss
für Ärzte und Krankenkassen". Und der schnürt das
Bündel immer enger. Patientenvertreter und -organisationen haben
bislang kein Mitbestimmungsrecht. Dabei sind sie es die Versicherten,
die mit ihren Beiträgen das gesamte Gesundheitssystem finanzieren.
Gespart wird bei den Kassen auch bei Kuren und im Bereich der häuslichen
Pflege. Blutdruck- und Blutzucker-Kontrolle, Verbandswechsel und Medikamentengabe
sollen künftig Verwandte übernehmen.
Tausende Heilmittel verboten
Grund zum Stöhnen und zur Beschwerde haben
auch die Hersteller naturheilkundlicher Arzneimittel. In den letzten
eineinhalb Jahren mussten sie einen Kraftakt vollziehen, damit
nicht ein Großteil ihrer Mittel verboten wurde. Durch die
10. Novelle des Arzneimittelgesetzes wären sage und schreibe
21 000 Arzneimittel vom Markt genommen worden, wenn die Hersteller
nicht für einen Teil davon bis Ende Januar und für einzelne
Präparate bis Ende Juli ihre Zulassung erneuert hätten. „Die
rot-grüne Regierung hat EU-Richtlinien in deutsches Recht
umgesetzt, angeblich wäre sonst ein ,Erzwingungsgeld' von
täglich 1 Million Mark fällig gewesen", so Scheiner,
der Organisator des Netzwerkes Naturheilkunde. Zugleich beklagt
er jedoch: „Allerdings hat die Regierung in den EU-Sitzungen
auch nichts unternommen, das Aus der Naturheilkunde zu verhindern.
Jetzt wird diese demokratieferne Zwangsmaßnahme als ,Harmonisierung'
(mit den EU-Gesetze) schöngeredet." Fachleute wie Dr.
Karl Buchleitner, Vorsitzender der Hufelandgesellschaft, einer
alternativ-medizinischen Ärztevereinigung, bezweifeln zudem,
ob derart drastische Schritte zur Umsetzung der EU-Richtlinien
wirklich nötig waren.
Alternative Hersteller in
Nöten
Fakt ist: Durch die Gesetzesänderung wurden
die Arzneihersteller gezwungen, die Wirksamkeit eines jeden Inhaltsstoffes
zu belegen. Für jedes einzelne Mittel mussten medizinische
Gutachten erstellt und aufwendige Recherchen in der wissenschaftlichen
Literatur durchgeführt werden - und das, obwohl die Präparate
seit Jahrzehnten in Deutschland zugelassen sind und sich in der
Erfahrungsheilkunde bewährt haben. Pure Schikane, wetterten
denn auch einige der Firmen. „Eine Nivellierung des Arzneimittelmarktes
zu ungunsten der biologischen Medizin", beklagt Verbandschef
Buchleitner.
Einige Arznei-Hersteller brachten die Auflagen in Existenznöte.
Größere mittelständische Pharmabetriebe wie „Heel" schätzen
die Kosten für die „Nachzulassung" ihrer Produkte auf
zirka 4,5 Millionen Mark. Das berichtet die Expräsidentin des Bundestages
Rita Süßmuth in einer Rede und kritisiert, dass von anfänglich
diskutierten Gebührenerlässen für homöopathische
Produkte oder kleine Firmen nicht mehr die Rede ist.
Die Arzneifirma „Wala" war beispielsweise gezwungen, ein halbes
Jahr lang 30 Personen allein für die Erstellung der nötigen
Zulassungs-Dokumente zu beschäftigen. Fünf Paletten Papier
wurden dann Ende Januar von ihr an die Genehmigungsbehörde geschickt.
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Alte
Pflanzenmittel vor dem Aus |
Bis spätesten Ende Juli müssen die letzten
Unterlagen vorgelegt werden. Die Nachfrist galt für homöopathische
Präparate, die aus tierischen Quellen stammen wie Spinnengift,
Tiermilch oder ähnliches. Allein für eine einzige solche
Studie müssen die Firmen noch einmal zirka 150 000 Mark aufbringen.
Keine Wunder, dass sich dieser Aufwand für viele selten verwendete
Präparate einfach nicht lohnt. Deshalb hat man bei rund 5200 Arzneimitteln
ganz auf eine Nachzulassung verzichtet. Weitere 14 000 sind künftig
nur noch in veränderter Form erhältlich oder in der „Überprüfungsphase".
Bei der Nachweispflicht, dass jeder wirksame Bestandteil eines Mittels
bei der entsprechenden Krankheit belegt sein muss, hat der Gesetzgeber
etwas Zentrales übersehen: Manche Pflanzen ergänzen sich sinnvoll,
indem sie die Wirkkraft des eigentlichen Heilkrauts unterstützen
und die Verträglichkeit verbessern oder sie wirken in einer Mischung
sogar gänzlich anders. Manche dieser Kombinationsmittel können
daher künftig nur noch als getrennte Präparate angeboten werden.
Bis zum Jahr 2003 dürfen die Firmen noch ihre Lagerbestände
an alten Präparaten verkaufen, spätestens dann sind tausende
Alternativ-Medikamente verschwunden.
Andere müssen künftig eine Aufschrift tragen, dass „die
behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit noch nicht abgeschlossen" sei. „Dadurch
wird bei bewährten Naturmitteln der Eindruck erweckt, sie seien
ungeprüft", beklagt Peter Zimann, Präsident des Fachverbandes
Deutscher Heilpraktiker.
Gut 50 Milliarden pro Jahr werden für Medikamente ausgegeben. Rund
30 Prozent aller verfügbaren Arzneien sind bereits Naturheilmittel.
Ein gigantischer Markt also, der hart umkämpft wird. Jetzt scheinen
sich die Lobbyisten der Schulmedizin und Großpharma durchgesetzt
zu haben.
Operation Huflattich
Dass bei den behördlichen Entscheidungen nicht
alles stimmig ist - sprich: durch den „Stand der Wissenschaften" begründet
werden kann -, zeigt nicht nur der Fall Akupunktur. Symptomatisch
war die „Operation Huflattich": Ende der 80er Jahre
setzte das Bundesgesundheitsamt mit einem Schreiben an 1140 Arzneimittelhersteller
quasi über Nacht die Erlaubnis für den Vertrieb von über
2 500 Naturheilmitteln aus. Einzelne Inhaltsstoffe dieser Pflanzenarzneien
sollten angeblich die Leber vergiften und Krebs auslösen.
Unter den 14 Heilpflanzen waren auch etliche altbewährte Kräuter
wie Huflattich (bekannt als Hustenkraut), Borretsch (traditionelles
Küchengewürz), Beinwell (bekanntes Heilkraut bei Rheuma,
Entzündungen und für Salben) und Pestwurz (vor allem
als Wundkraut und bei Steinleiden verwendet). Nicht einmal als
Tee durften sie außerhalb von Apotheken verkauft werden.
Fragwürdige Tierversuche
Als Grund für das Verbot gab das BGA das tragische
Ende eines Säuglings an, der an Leberschäden starb, weil
seine Mutter während der Schwangerschaft huflattichhaltigen
Tee getrunken hatte. Für den Tod verantwortlich gemacht wurde
das im Huflattich enthaltene Alkaloid Pyrrolizidin.
Dr. Klaus-Peter Schlebusch und Dr. Hans-Christian
Scheiner deckten damals als Vertreter des „Zentrums für
Dokumentation von Naturheilverfahren e.V" (ZDN) große
Ungereimtheiten auf. So betrug beispielsweise der Anteil des Huflattichs
im Tee nur 9 Prozent. Die Wirkung der anderen Kräuter war überhaupt
nicht geprüft worden. Außerdem war die Mutter des Säuglings
drogensüchtig und nahm halluzinogene Pilzdrogen ein, die leberzerstörend
wirken können. Seit 1992 darf Huflattich in geringer Konzentration
Hustentees wieder beigemischt werden. Dennoch gilt nach dem „Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte" weiterhin: „Huflattich
hat mögliche Krebs erregende und lebertoxische Wirkungen".
Medizinisch begründbar ist das Ganze nach Dr. Schlebusch aber
nicht: „Das Strickmuster ist immer gleich: Man isoliert einen
Einzelstoff aus einer Pflanze, gibt ihn in immer höheren Dosen
Tieren, bis sie schwerste Erkrankungen entwickeln. Auf diese Weise
kann alles zum Krebserreger werden." Beim Huflattich mussten
die Studienleiter, wie Schlebusch anklagt, sogar zur Zwangsernährung
greifen: Als die Ratten bei einem Anteil von 15 Prozent Huflattich
im Tierfutter das Essen verweigerten, wurde ihnen bis zu 32 Prozent
der Pflanze mit dem Futter eingeflößt. Kein Wunder,
dass sich Krebs bildete.
Derartige abstruse Methoden sind jedoch nicht ungewöhnlich. Um gegen
Naturheilkunde und Alternativmedizin zu Felde zu ziehen, scheint man
vor nichts zurückzuschrecken. Die Arzneimittelkommission für
biologische Medizin beklagt: „Gut gemeinte Paragraphen zur Risikoabwehr
sind zu einem bequemen Instrument der Marktlenkung geworden. Resultat:
die 'Bereinigung des Arzneimittelmarktes' und die Dominanz einer einseitigen
'Wissenschaftsrichtung'."
Gezielt soll die Naturmedizin ausgegrenzt werden.
Infos |
Infos zu Aktionen des „Netzwerk
Naturheilkunde" bei: Dr. Scheiner, „Aufbruch für
Bürgerrechte, Freiheit und Gesundheit", Tel.: 089/
82940300, Fax: 82940301 oder gegen Rückport unter: Dr.
Scheiner, Franz-Wüllner-Str. 39, 81247 München. E-Mail-Aktion
unter: www.unser-aufbruch.de.
Aktuelle Infos unter: www.Akupunktur-aktuell.de |
Bildquellen: ©Rainer Sturm / www.pixelio.de, Inessa Podushko / www.pixelio.de, bigmama / www.pixelio.de, uschi dreiucker / www.pixelio.de |